Von Cornelia Henze
Falkenstein/Bergen - Ein 85-jähriger Mann verschwindet am Nachmittag des Pfingstsamstag im Wald an der Falkensteiner Talsperre. Der Senior, vorher in Begleitung der Ehefrau, kehrt nicht zurück. Elf Stunden später wird er 8,5 Kilometer vom Ausgangsort gefunden: In einem Seitengraben an der Poppengrüner Straße in Bergen. Die „Freie Presse“ berichtet – auch darüber, dass der Vermisste nicht durch die Polizeifahndung, sondern von Passanten gefunden wurde. „Passanten“ - so hatte es die Polizei am Sonntag gemeldet.
„Unser Sultan hat dem Mann das Leben gerettet. Er hat so toll reagiert und hartnäckig gebellt.“ Christa Lindner Hundehalterin
Fotos: David Rötzschke
„Die Formulierung Passanten trifft es nicht, denn wir sind Anwohner“, reagieren Christa und Gert Lindner auf die Berichterstattung in den Medien. Und sie klären auf, wie es aus ihrer Sicht war: Lindners sitzen gerade gemütlich vor dem TV. Dort läuft „Ziemlich beste Freunde“. Es ist gegen Mitternacht. Mit einem mal hören sie ihren Hund Sultan bellen. Laut und pausenlos. Christa Lindner geht in den Garten. Sultan läuft ihr entgegen und geleitet sie an den Zaun, die Grundstücksgrenze. „Ich habe mit der Taschenlampe ins Brombeergestrüpp geleuchtet und habe etwas Weißes gesehen. Dann habe ich einen älteren Herrn dort kauernd ausgemacht. Er trug ein weißes Hemd“, schildert die Anwohnerin. Christa Lindner spricht den Mann an mit: „Was machen Sie denn da?“ Der Mann habe ihr zur Antwort gegeben, nicht aufstehen zu können.
Gert und Christa Lindner mit ihrem vierjährigen Leonberger Sultan. Der Rüde hat einem hilflosen 85-jährigen Mann zu Pfingsten das Leben gerettet.
Daraufhin eilt Christa Lindner ins Haus, holt ihren Mann zu Hilfe. Als das Ehepaar zurückkommt, ist der hilflose Mann aus dem Beerenbusch verschwunden. Mit eigener Kraft habe er es bis zur angrenzenden Wiese geschafft. Die Lindners geben dem kraftlosen alten Mann Mineralwasser zu trinken und setzen den Notruf ab. Kurz darauf trifft der Notarzt ein. Und dann die Polizei. Noch lange danach steckt den Lindners der Schreck in den Gliedern. Aber da ist auch das gute Gefühl, noch rechtzeitig geholfen haben zu können. „Unser Sultan hat dem Mann das Leben gerettet. Er hat so toll reagiert, so lange hartnäckig gebellt, bis von uns jemand kam“, sagt Christa Lindner und grault dem großen, zotteligen Leonberger liebevoll den Kopf.
Das ursprünglich aus Brandenburg stammende Ehepaar hat schon das ganze Leben lang Hunde. Immer große Hunde. Eben ziemlich beste Freunde, zum Schutz und nun, wie man sieht, als Lebensretter. Denn auch die Lindners wissen, dass der 85-jährige Rentner riesiges Glück gehabt hat – viele Vermisstensuchen gehen tragisch aus. Oft sind es demente, ältere Menschen, die von zu Hause oder aus Pflegeeinrichtungen weglaufen, tagelang orientierungslos im Freien herumirren, ihre Kräfte verlieren und in kalten Nächten auch erfrieren können. Erst vor wenigen Wochen wurde eine ältere Dame in Plauen leblos aufgefunden.
Im Brombeergestrüpp am Gartenzaun ihres Grundstückes in Bergen fanden die Lindners den hilflosen Mann.
War auch dieser alte Herr etwa orientierungslos? fragen sich die Lindners. Denn während der kurzen Unterhaltung habe der Mann geäußert, zum Reichenbacher Bahnhof gelangen zu wollen. Aber legt man mit 85 Jahren die Strecke Falkenstein - Reichenbach zu Fuß zurück? Für die Lindners bleiben Rätsel nach dem seltsamen Vorfall – und ein Hauch von Unsicherheit.
Durch den Vermisstenfall wurde auch bekannt, dass sich im Wald um Falkenstein und Grünbach ein Wolfsrudel aufhalten könnte. Nun sind auch die Lindners in Habacht-Stellung, wenn sie künftig mit ihrem vierjährigen Leonberger in den Wäldern spazieren gehen. Ohne kürzere Leine gehe da nichts mehr, sagen die beiden Bergener.
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